Was war eure Motivation Pflegefamilie zu werden?
Ursprünglich planten wir eine Weltreise zu machen, wenn die Kinder erwachsen sind. Diese Pläne wurden aber durch Ronja, unsere Nachzüglerin durchkreuzt. Unsere Schlussfolgerung aufgrund dieser schönen Tatsache war, dass wir uns entschieden haben, unsere Energien für Kinder, die keine optimalen Bedingungen haben, zu brauchen. Raphaela ist mit vielen Geschwistern aufgewachsen und wollte immer schon viele Kinder um sich herumhaben. Auch in Raphaelas Herkunftsfamilie gab es Pflegekinder, auch Andy konnte sich dies sehr gut vorstellen. Raphaela und Andy betonen, dass es ihnen damals nicht darum ging, Pflegekinder als Geschwister für Ronja aufzunehmen, sondern dass sie einfach ihren Platz und ihre Ressourcen für Kinder zur Verfügung stellen wollen. Raphaela betont, dass sie zusätzlich schon immer eine Affinität hatte für Herausforderungen.
Wie sieht euer Alltag aus?
Nicht jeder Tag ist besonders speziell, aber jeder Tag ist wieder anders. Der Alltag erfordert viel Flexibilität, du kannst wohl einen Plan haben, dieser kann sich aber jederzeit wieder ändern. Das Programm ist nicht fix. Manchmal ist der Alltag auch sehr schwer, wir wissen nicht so genau wie der Tag noch endet, weil der Tagesablauf so durcheinander ist. Am besten fahren wir damit, dass wir gelernt haben, die Situationen so zu nehmen, wie sie kommen, die Zeiten anzupassen und gelernt haben, dass nicht alles im Voraus planbar ist.
Was hat sich verändert in eurem Alltag seit der Aufnahme von Pflegekindern?
Andy betont, dass er das Miteinander als Kernfamilie sehr viel mehr schätze als früher. Dies, weil die Momente in welcher wir als Kernfamilie zusammen sind, selten geworden sind, seit wir Pflegekinder aufnehmen. Aktuell freuen wir uns auf die Ferien zu dritt, dies haben wir schon sehr lange nicht mehr gemacht. Uns ist auch bewusst geworden, was für ein Glück wir haben, dass wir hier geboren sind und es hier sehr gut haben, dies ist unbezahlbar. Auch haben wir gelernt, nicht mehr jedes kleine Problem gross zu machen, es gibt viel Schwierigeres im Leben anderer Kinder und Jugendlicher. Wir stellen im Alltag fest, dass Dinge, welche für andere fast unlösbar scheinen, für uns eher Kleinigkeiten geworden sind und nicht an die grosse Glocke gehängt werden müssen. Auch sind wir besser geworden, im Aushalten von Situationen, welche schwierig und komplex sind. Wir haben eine gewisse Gelassenheit entwickelt. Weiter ist uns die Qualität, mit guten Freunden Zeit zu verbringen, wichtiger geworden.
Was ist bereichernd daran eine Pflegefamilie zu sein?
Die Erfahrung mit den Kindern und die ganzen Situationen rund um die Pflegekinder ist für uns eine Bereicherung. Meist erleben wir den Tag als erfüllt, es gibt nicht immer gute, aber auch nicht immer schlechte Zeiten, unser Alltag ist aber ausgefüllt. Mittlerweile, nach all den Jahren als Pflegefamilie, haben wir auch die Ressourcen dazu gefunden, den Tag jeweils gemeinsam als Paar zu besprechen und die Situationen, Dinge, welche tagsüber passiert sind, zusammen anzuschauen. So können wir den Tag gut abschliessen und auch Lösungsansätze für schwierige Momente kreieren. Auch ist es toll, wenn wir sehen, wie ein Pflegekind von unserem Umfeld profitieren kann und sich weiterentwickelt.
Was ist schwierig, was sind Stolpersteine in der Arbeit als Pflegefamilie?
Wir empfinden nicht ausreichende Informationen bezüglich der Kinder/Jugendlichen seitens Ämter, BeiständInnen, als Stolpersteine. Wir erleben, dass Ämter abblocken und nicht alles offenlegen, dies kann im Alltag schwierig werden. Wenn dies anders wäre, so könnte Unvorhersehbares besser kanalisiert und abgefangen werden. Schwierig wird es für uns auch dann, wenn es mit dem eigenen Kind nicht passt, oder wenn das eigene Kind nicht mehr mag. Hier ist für uns Feinfühligkeit gefragt, wieviel ist noch tragbar für das eigene Kind. In dieser Situation wollen wir nicht egoistisch unser Ding durchziehen, sondern immer gut auf das eigene Kind achten. Die Arbeit mit der Herkunftsfamilie der Pflegekinder ist für uns oft auch eine Herausforderung und kann zu Stolpersteinen führen. Die Kinder sind oft durch die Herkunftsfamilie sehr beeinflusst. Weiter ist es für uns schwierig, wenn wir bei einer Rückplatzierung des Kindes in die Herkunftsfamilie kein gutes Gefühl haben und das Kind nicht mit einem guten Gewissen gehen lassen können.
Wie erlebt ihr die Zusammenarbeit mit Sofa und Behörden?
Die Zusammenarbeit mit Sofa ist super, es gibt aus unserer Sicht keine bessere Sache, als eine starke Organisation im Hintergrund zu haben, welche einem stärkt, dies empfinden wir als ein gutes Modell. Aus unserer Sicht ist es problematisch, dass Behördenmitglieder meistens nicht spezialisiert sind auf dem Gebiet des Pflegekinderwesens. Wenn dem so wäre, könnte dies auch die Situation der Pflegekinder verbessern. Zudem sehen wir es so, dass es gut ist, wenn alles kontrolliert ist, auch wenn die Behörde bereits zum dritten Mal im Garten steht und nochmals wissen möchte, wie alles läuft, müssen wir das akzeptieren, weil es wichtig ist, dass alles geprüft wird. Die Aufsichtsbehörde, welche bei uns jeweils Besuche macht, empfinden wir als angenehm und wohlwollend. Irgendwie wird man zu einer öffentlichen Person, bzw. zu einer öffentlichen Familie. Wir erleben teilweise auch die Schulbehörde als schwierig, welche uns auch schon mit seltsamen Aussagen begegnet ist, weil Pflegekinder offenbar von Anfang an als problematisch angesehen werden. Was uns wichtig scheint in der Zusammenarbeit mit den Behörden ist weiter, dass so wenig Gespräche, wie beispielsweise Standortgespräche, in den eigenen vier Wänden stattfinden wie möglich. Auch problematische Situationen sollen nicht in Anwesenheit des Kindes besprochen werden. Dies zum Schutz des Kindes und zum Schutz des sicheren Ortes der eigenen vier Wände für das Pflegekind. Etwas anders scheint es für uns, wenn es um Jugendliche geht, da ist es oft hilfreich, wenn Gespräche in Anwesenheit des Jugendlichen, der Jugendlichen und der Bezugsperson geführt werden.
Welche Voraussetzungen braucht es aus eurer Sicht, um Pflegefamilie zu sein/werden?
Aus unserer Sicht braucht es Offenheit, Belastbarkeit und kein „0815 denken“. Wir sehen es so, dass jedes Kind so genommen werden muss, wie es eben ist und mit dem, was es mitbringt. Hilfreich ist es, wenn keine eigenen grossen Baustellen vorhanden sind, wenn man Pflegekinder aufnimmt. Es ist wichtig, dass man mit sich selbst im Reinen ist und Dinge, welche schwierig zu ertragen sind, handhaben kann. Wir treffen schwierige Situationen immer wieder an, ob wir das möchten oder nicht. Mit beiden Beinen im Leben stehen, für alles offen sein, ist für uns eine weitere Voraussetzung Pflegefamilie zu werden. Man muss sich bewusst sein, dass es eine Umstellung im Leben ist, meistens eine sieben Tage Woche mit den Pflegekindern, welche die Aufmerksamkeit, Zeit und Zuwendung brauchen.